Gentechnik-Saatgut und samenfeste Sorten – Was sind die Unterschiede?

Dr. Eva Gelinsky im Gespräch mit Mathias Forster und Christopher Schümann

Wie sollte in Zukunft Pflanzenzüchtung aussehen? Was ist dabei ein moderner wissenschaftlicher Ansatz? Was sollte erlaubt und was nicht erlaubt werden? Das sind alles wichtige Fragen zu einem aktuellen Thema. Es gibt verschiedene Positionen, die sich gegenüberstehen, auch im Hinblick auf verschiedene «genome editing»-Verfahren und die damit verbundenen Risiken. Es stehen in Europa wichtige Richtungsentscheidungen an. Und es geht dabei natürlich auch um viel Geld und zukünftige Geschäftsmodelle. Grund genug sich eingehender damit zu befassen.

Dr. Eva Gelinsky studierte Geographie, Bioklimatologie und Botanik an der Georg-August-Universität Göttingen und erwarb ihren Doktortitel in Agrarwissenschaften an der TU München. Sie ist seit 2010 im Vorstand der Schweizer Allianz Gentechfrei und seit 2011 Mitglied der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH). Sie ist an verschiedenen Forschungsprojekten beteiligt und hält seit 2012 regelmässig Gastvorträge an der Universität Witzenhausen und an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Sie lebt mit ihrer Ziege auf einem Biohof in der Nähe von Luzern (CH), ist aber beruflich viel in Deutschland und Österreich unterwegs.

Frau Gelinsky, momentan werden politische Entscheidungen getroffen oder vorbereitet, wie mit genmanipuliertem Saatgut in Zukunft umgegangen werden soll. In einem Newsletter (01.07.23) von Swiss-Food.ch, einer Informationsplattform, die von Bayer und Syngenta betrieben wird, war zu lesen: «Moderne Pflanzenzucht jedoch ist zielgerichtet. Sie setzt auf die Genschere CRISPR/Cas oder andere Verfahren der Genom-Editierung. Das erlaubt präzise Eingriffe ins Genom.» Können Sie diese Technologie kurz erläutern?

Es gibt verschiedene «Genome Editing»-Verfahren. Besonders im Fokus steht das 2012 entdeckte CRISPR (engl.: Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats)/Cas (engl.: CRISPR-associated)-System. Dieses wird im Labor dazu verwendet, um möglichst zielgerichtete Veränderungen am Erbgut eines Organismus vorzunehmen. Die gentechnische Methode findet vor allem Anwendung in der Pflanzen- und Tierzucht, der medizinischen Forschung und der Grundlagenforschung. Das System besteht aus einem Enzym (auch Nuklease genannt, z. B. Cas9) und aus einer «Guide-RNA», mit deren Hilfe jener Abschnitt auf der DNA angesteuert werden kann, der verändert werden soll. Zunächst muss das System mit Hilfe älterer gentechnischer Verfahren (z. B. Partikelbeschuss) in die Zelle eingebracht werden. Sobald die Guide-RNA «angedockt» hat, trennt das Cas Enzym den DNA-Doppelstrang auf. Die Zelle aktiviert Reparatursysteme, um den Eingriff zu beheben.

Was können mögliche Risiken bei diesem Verfahren sein?

Oft kommt es zu Fehlern bei der Reparatur, die zu einer Mutation führen. Auf diese Weise können Basenpaare ausgetauscht, hinzugefügt oder entfernt werden. Gene können stillgelegt oder in ihrer Wirkungsweise verändert werden. Hierbei entstehen nun einerseits die gewünschten Veränderungen, andererseits sind so genannte On- oder Off-target-Effekte möglich. (On-target-Effekt bedeutet, dass unerwünschte Veränderungen an der Zielsequenz entstehen, off-target meint, dass diese Veränderungen an anderen Stellen im Genom auftreten, an denen eigentlich nichts verändert werden sollte).
Möglich sind zudem komplexere Veränderungen an mehreren Stellen im Erbgut, wenn das Verfahren mehrfach hintereinander angewendet wird («Multiplexing»). Studien zeigen, dass das Verfahren bei weitem nicht so präzise ist, wie der öffentliche Hype suggeriert. Die «Gen-Schere» wird also z. B. auch jenseits der Zielsequenz aktiv. Auch bedeutet «präzise» nicht, dass ein Eingriff automatisch sicher ist. Erst 2023 ist eine Studie erschienen, in der chromothripsisartige Effekte bei Tomaten (deren Erbgut wurde mit CRISPR/Cas verändert) nachgewiesen wurden. Mit Chromothripsis wird ein Phänomen bezeichnet, bei dem sich in einem ‹katastrophischen› Ereignis oft hunderte genetische Veränderungen auf einmal ereignen. Dabei können Abschnitte des Erbguts vertauscht, verdreht, neu kombiniert werden, oder auch ganz verloren gehen.

Zusammengefasst: Es handelt sich bei CRISPR/Cas um ein sehr junges Verfahren. Obwohl es inzwischen Studiengibt, die auf Risiken bei der Anwendung von CRISPR/Cas hinweisen, findet keine systematische Risikoforschung statt. Dies ist einer der Gründe, warum z. B. die Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit, für die ich u. a. tätig bin, fordert, dass die Verfahren und die daraus resultierenden Pflanzen weiterhin als Gentechnik reguliert werden.

Was bedeutet dieses «katastrophische» Ereignis konkret, von dem Sie sprachen? Wie kann man sich das als Laie vorstellen und wie wirkt sich das aus? Weiss man etwas von den Wirkungen auf Tiere oder Menschen, die solche Pflanzen essen?

Soweit ich weiss, gibt es solche Wirkungsstudien noch nicht. Auch diese besonders deutliche und möglicherweise weitreichende Folge eines gentechnischen Eingriffs ist vor allem ein Hinweis darauf, dass mit Verfahren der neuen Gentechnik auch unvorhersehbare Effekte möglich sind. Das ist auch nicht überraschend, schliesslich wird in ein komplexes Pflanzengenom eingegriffen, dessen Funktionsweise wir immer noch nicht vollständig verstehen. Es ist naiv zu glauben, dass sich Pflanzen wie Baukästen neu zusammensetzen oder wie Computer programmieren liessen. Daher fordern wir, dass Pflanzen, die mit diesen Verfahren entwickelt wurden, vor ihrer Kommerzialisierung einer eingehenden Risikoprüfung unterzogen werden.

Was verstehen Sie unter moderner Pflanzenzüchtung?

Auf diese Fragen kann man keine kurze und einfache Antwort geben. Zunächst muss doch geklärt werden, für welches Anbausystem und welchen Zweck, welches Ziel überhaupt gezüchtet werden soll. In der konventionellen Züchtung steht nach wie vor die Ertragsmaximierung im Vordergrund. Die Pflanzen wachsen auf intensiv gedüngten Äckern und werden mit diversen Herbiziden und Insektiziden behandelt. Der Biolandbau z. B., der diese Inputs nicht nutzt, braucht ganz andere Pflanzen. Die Pflanzen müssen angepasst sein an die Verfügbarkeit von Nährstoffen unter ökologischen Anbaubedingungen, sie müssen mit Beikräutern zurechtkommen und eine breite Pflanzengesundheit aufweisen. Im Fall von Weizen sind z. B. Pflanzen mit einem ganz anderen Aussehen gefordert: Die für den ökologischen Anbau geeigneten Sorten sind länger als jene für den konventionellen Anbau, die Blatthaltung – besonders während der Jugendentwicklung – sollte eher bedeckend als aufrecht sein und der Abstand vom ersten Fahnenblatt zur Ähre grösser, u. a. um Pilzkrankheiten von der Ähre fernzuhalten. Die ökologische Züchtung entwickelt daher Sorten mit diesen Eigenschaften konsequent unter ökologischen Anbaubedingungen und mit Methoden, die im ökologischen Landbau bzw. der ökologischen Züchtung zugelassen sind.

Weiter wird in dem Newsletter behauptet: «Wer beim Klimawandel ‹follow the science› ruft, darf auch bei den Methoden der Pflanzenzucht den breiten wissenschaftlichen Konsens nicht ausblenden. Deshalb kommen die Gegner in Beweisnot. Sie ignorieren die Wissenschaft und wiederholen einfach alte Unkenrufe.» Hier wird ja behauptet, dass nur in dieser, von der Agrarchemie verfolgten Richtung wahre Wissenschaftlichkeit liegt. Was ist Ihr Verständnis von Wissenschaftlichkeit?

Auch das ist eine Frage, die sich kaum knapp beantworten lässt. Wichtig wäre es mir zunächst festzuhalten, dass es nicht DIE wissenschaftliche Meinung zu den neuen gentechnischen Verfahren gibt. Es gibt viele Wissenschaftler:innen (z. B. bei ENSSER, im BfN), die auf Risiken der Verfahren und offene Fragen hinweisen. «Follow the science» würde für mich heissen, diese Hinweise und Fragen ernst zu nehmen und diese auch offen und öffentlich zu kommunizieren. Ich hatte ja bereits darauf hingewiesen, dass es bislang kaum Risikoforschung zu den neuen Verfahren gibt. Dies sollte sich rasch ändern, damit man tatsächlich eine Datengrundlage hat, auf der Entscheidungen getroffen werden können. Die jetzt in Europa geplante Deregulierung der neuen Gentechnik ist eine weitreichende Entscheidung, die allein – aufgrund der mangelhaften wissenschaftlichen Datengrundlage – aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt ist.

Was ist Ihr Verständnis von wissenschaftlicher Innovation in der Pflanzenzüchtung?

Zunächst muss geklärt sein: welche Art von Landwirtschaft brauchen wir in Zukunft? Dann kann überlegt werden, welche Art von Pflanzenzüchtung hierfür notwendig ist. In einer ausführlichen Broschüre, die 2022 erschienen ist, hat sich die IG Saatgut hierzu Gedanken gemacht und Interviews geführt.

Weiterhin wird in dem genannten Newsletter behauptet: «Ins gleiche Kapitel gehört der unwissenschaftliche Kampf von Greenpeace gegen den Golden Rice. Golden Rice könnte in Entwicklungsländern jeden Tag das Leben von Kindern retten. Doch Greenpeace wehrt sich seit Jahren gegen den Anbau. Aktuell auf den Philippinen. Ein tödlicher Unsinn.» Was sagen Sie dazu?

Hier verweise ich gerne auf einen ausführlichen Text der Entwicklungsorganisation Brot für die Welt, in der die Behauptung, Gentechnik (egal ob «neu» oder «alt») helfe dabei, den Hunger zu bekämpfen, ausführlich widerlegt wird.

Es geht in dem Newsletter im gleichen Stil weiter, indem gesagt wird: «Immerhin, der wissenschaftliche Konsens spiegelt sich zusehends in der Politik. Grossbritannien erlaubt seit März 2023 den Anbau vongenomeditierten Nutzpflanzen. Das heisst: Englische Landwirte dürfen Pflanzen anbauen, die gezielt gegen Klimawandel, Krankheiten und Schädlinge gestärkt sind. Dies dient sowohl der Nachhaltigkeit als auch der regionalen Produktion. Gleichzeitig gibt die neue Bestimmung der englischen Forschung Auftrieb.» Interessant ist hierbei die Gleichsetzung: Erlaubnis von genomeditierten Nutzpflanzen = Englische Landwirte dürfen Pflanzen anbauen, die gezielt gegen Klimawandel, Krankheiten und Schädlinge gestärkt sind. Hier wird also suggeriert, dass nur durch die von der Agrochemie bevorzugte Methodik Pflanzen gezüchtet werden können, die gegen den Klimawandel, Krankheiten und Schädlinge gestärkt sind. Was halten Sie von dieser kühnen Behauptung?

Angesichts der grossen Versprechen, was mit der neuen Gentechnik alles möglich sein soll, sind die Resultate bislang bescheiden. Die PR der Unternehmen, welche die Politik aufgreift und verbreitet, attestiert der neuen Gentechnik jedoch weiterhin, dass sie massgeblich zur Lösung der Probleme beitragen wird, mit denen die Landwirtschaft in wachsendem Masse konfrontiert ist. Dabei zeigen gerade die Erfahrungen der letzten Jahre, dass die Lösung nur in einem grundlegenden systemischen Umbau bestehen kann. Um alternative Entwicklungspfade in diese Richtung weiterhin offen zu halten, bleibt die Regulierung der neuen Gentechnik als Gentechnik unabdingbar. Auch weil Verfahren wie CRISPR/Cas nicht unabhängig von den ökonomischen und rechtlichen Strukturen zu haben sind, unter denen ihre Entwicklung und Anwendung stattfinden.

Sie sprechen hier ökonomische und rechtliche Strukturen an. Den von der Agrarindustrie forcierten Methoden der Saatgutzüchtung und -vermehrung steht ja eine andere Bewegung gegenüber, die sich für die Züchtung und Vermehrung von samenfesten Sorten einsetzt. Können Sie noch etwas zu diesen samenfesten Sorten sagen und was die Vorteile und Nachteile für die Bäuerinnen und Bauern bei samenfesten Sorten sind?

Das von den grossen Züchtungsunternehmen entwickelte Saatgut macht sowohl aus rechtlichen (Sorten-, Patentschutz) als auch aus «biologischen» Gründen (z. B. Hybride) den bäuerlichen Nachbau praktisch unmöglich. Auch die Nutzung dieser Sorten in der weiteren Züchtung kann eingeschränkt sein. Während die grossen Unternehmen von diesem System profitieren, nimmt die verfügbare Vielfalt an Sorten und Arten immer weiter ab. Aus diesem Grund setzen Bio-Züchter:innen konsequent auf «samenfeste» Sorten. Diese können und dürfen von Bäuer:innen nachgebaut werden und andere Züchter:innen können ohne rechtliche Auflagen oder «biologische» Einschränkungen damit weiterzüchten.

Was müssten die Gesellschaft und die Politik tun, um einen möglichst nachhaltigen und fairen Umgang mit Saatgut zu fördern, regional, national und international?

Als ein erster Schritt ist die Regulierung der neuen Gentechnik beizubehalten, damit alternative Entwicklungspfade weiter ausgebaut werden können. Anstatt auf gentechnische Wunderpflanzen zu warten, wäre mehr Vielfalt auf allen Ebenen nutzen ein Ansatz, der uns in Zeiten der Klimakrise wirklich helfen könnte. Wenn es die Arbeitsorganisation erlaubt und die entsprechenden Vermarktungsstrukturen vorhanden sind, ist die Diversifizierung auf Betriebsebene wohl eine der wichtigsten Einzelmassnahmen, die es gibt. Denn wenn eine Kultur zum Beispiel wegen Trockenheit ausfällt, dann gefährdet das nicht gleich die Existenz des ganzen Hofes. Für die Züchtung bedeutet das, dass nicht nur die Hauptkulturarten bearbeitet werden, sondern eine möglichst grosse Bandbreite: Von Ackerkulturen über Gemüse und Obst bis zu den Futterpflanzen. Mehr Vielfalt auf dem Acker, seien es Mischkulturen oder Populationen, ist ein weiterer wichtiger Baustein. Auch eine möglichst grosse Sortenvielfalt kann dabei helfen, Totalausfälle zu vermeiden. Um eine möglichst grosse Vielfalt an Arten und Sorten verfügbar zu machen, müssen wir uns zuallererst noch intensiver um die Erhaltung der genetischen Ressourcen kümmern. Die Vielfalt der Kultur- und Wildpflanzen bildet das Fundament; ohne sie ist keine Züchtung möglich. Auch wenn es die Konzerne behaupten: Für die Zukunft der Züchtung und Landwirtschaft gibt es nicht nur den einen Weg, und es wird ihn sicher auch nie geben. Züchtung und Landwirtschaft sollten daher wieder vermehrt für ganz unterschiedliche Bedürfnisse Lösungsansätze entwickeln. Dies funktioniert aber nur, wenn mehr gezüchtet wird – an vielen verschiedenen Orten und von vielen verschiedenen Menschen. Um eine Agrarwende durchzusetzen, die diesen Namen tatsächlich verdient, kommen wir nicht darum herum, auch die Strukturen zu ändern. Dies wird sich allerdings nicht von heute auf morgen realisieren lassen. Daher ist es umso wichtiger, alternative Züchtungs- und Forschungsprojekte für eine andere Landwirtschaft schon heute zu entwickeln. Leider gibt es zur Zeit keine Aktion, an der sich Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Unterschrift gegen die Gentechnik in der Landwirtschaft aussprechen können. Aber hier ist ein Link zu Stimmen aus der Landwirtschaft zum Thema.

Hier ein aktueller Kommentar zur neuen Gentechnik von Bioland-Präsident und Botschafter des Bodenfruchtbarkeitsfonds Jan Plagge anlässlich des informellen Treffens der EU-Agrarminister*innen vom 5.9.2023

Die Deregulierungs-Welle für Neue Gentechnik rollt weiter auf uns zu und sie zieht eine deutlich erkennbare Flut von Patenten nach sich. Die Bio-Branche hat sich früh und immer wieder sehr klar gegen die Gesetzesvorhaben aus Brüssel gestellt und damit auch die Interessen vieler Akteure aus der Land- und Lebensmittelwirtschaft vertreten, die bisher beim Thema merkwürdig zurückhaltend agieren. An einer noch grösseren Abhängigkeit landwirtschaftlicher Betriebe von monopolistischen Agrochemie-Konzernen hat aber wohl der gesamte Agrarsektor kein Interesse – völlig unabhängig von der Anbauform. Wir fordern daher alle Akteure aus der Landwirtschaft dazu auf, sich mit uns gegen den vorliegenden EU-Gesetzesentwurf zu stellen und so ein gemeinsames Bollwerk gegen die drohende Patentflut auf Pflanzen und wichtige Eigenschaften wie Resistenzen zu bilden. Das Patentrecht muss unbedingt zuerst novelliert werden, bevor man auch nur darüber nachdenkt, das Gentechnikrecht anzupassen. Umgekehrt vorzugehen bedeutet, der Patentierung einen Freibrief zu geben.

Die Bio-Stiftung Schweiz sieht dies genauso und schliesst sich diesen Worten an.

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