von Alexander Capistran | Info 3
Über die gegenseitige Zuneigung von Mensch und Erde, den Boden als kleinsten gemeinsamen Nenner und über verantwortlich gestaltete Atmosphären sprach Alexander Capistran, Info 3, mit Mathias Forster.
„Die Erde lieben“ lautet das Thema dieser Ausgabe. Liebe verlangt immer nach Augenhöhe. Ist die Erde nicht zu groß und erhaben, um von uns auf Augenhöhe geliebt zu werden?
An der Größe allein lässt sich das nicht festmachen. Ich kann ja auch einen Elefanten oder einen Blauwal lieben, obwohl wir physisch nicht auf Augenhöhe sind. Augenhöhe geht eigentlich immer von dem höheren Bewusstsein aus. Der Meister neigt sich den Schülern zu und wäscht ihnen die Füße. Und die Erde neigt sich uns zu, sie liebt uns – ich fühle das ganz eindeutig. Sie ermöglicht mir, mit ihr auf Augenhöhe sein zu dürfen, auch wenn ich viel kleiner bin als sie.
Der Mensch hat den aufrechten Gang entwickelt, der mit einer Entfernung von der Erde einhergeht, auch im menschlichen Bewusstsein. Müsste nicht von daher der Mensch sich zuallererst der Erde wieder zuneigen?
Es geht um eine wechselseitige Gabe und Zuneigung: Wir Menschen wollen ja die Freiheit hinzufügen in diesen großen kosmischen Reigen, und die Erde sehnt sich – glaube ich – auch danach, dass das geschieht. Deswegen zeigt sie auch diese Toleranz, diese Milde und diese Weite uns gegenüber, weil ihr bewusst zu sein scheint, dass sie sich nur mit uns zusammen weiterentwickeln kann. Sie sagt uns aber auch eindeutig, dass wir sie als Grundlage brauchen, um uns weiterzuentwickeln. Das wäre die Aufgabe unserer Zuwendung, diesmal aus Freiheit, um ein Verhältnis der Lebendigkeit, des Gefühls, der Freude und der Verbundenheit zu schaffen. Ich bin überzeugt: Die Erde wartet freudig auf unseren liebevollen Fußabdruck, neigt sich uns zu und hat kein Problem mit der Augenhöhe.
Aber entzieht sich die Erde dem Menschen nicht auch? Dürre, Versteppung, Verwüstung und Klimakatastrophe sind doch unmissverständliche Grenzsetzungen der Erde?
Sie tut das aber nicht aus einer moralisierenden Haltung heraus, sondern sie reagiert einfach, um sich selbst zu schützen. Wenn sie jetzt ihre Atmosphäre erhitzt, dann fiebert sie, damit wir Menschen wach werden können. Ich bin froh, dass sie das tut, weil wir das einfach noch brauchen, das ist offensichtlich.
Welche Qualität sollte im Verhältnis von Mensch und Erde im Vordergrund stehen?
Ganz eindeutig die Liebe. Und das meint: Wärme-Beziehung. Im Prinzip sagt sie uns das auch, wenn wir denn hinhören würden. Sie erhöht ihre Temperatur, sie erhöht ihren Wärmehaushalt. Weshalb? Weil unser Verhältnis zu ihr, zu den Lebenssphären und auch untereinander zu kühl ist. Und jetzt geht es darum, dass wir diese von ihr produzierte äußere Wärme zu einem inneren Wärmeverhältnis umarbeiten und ihr dadurch neu begegnen. Aus dieser inneren Wärme heraus können wir mit uns selbst, mit allen Mitgeschöpfen und allem was lebt, in ein neues Verhältnis treten. Es kommt jetzt darauf an, dass wir diese äußere Wärme verinnerlichen.
Warum fällt das so schwer – wir sind doch selber gewissermaßen aus Erde?
Ja, zumindest unser Körper. Jede und jeder von uns umkleidet sich mit Substanz von dieser Erde und jeder legt seinen Körper auch wieder in sie zurück. Jeder braucht den Boden, um gehen zu können, und aus diesem Boden sind unsere Häuser und alle unsere Hüllen – der Boden ist vielleicht der kleinste gemeinsame Nenner. Selbst unsere Technik wäre ohne Erdenstoffe nicht möglich. Es obliegt dem Menschen, den von der Erde geliehenen Teil, den ich als Mensch bewohnen darf, verantwortlich zu behandeln, zu durchgeistigen und so wieder an die Erde zurückzugeben. Dadurch kann auch sie sich weiter entwickeln.
Die Erde wird hingegen weithin als Besitz, als Eigentum des Menschen behandelt.
Das Besitztum in Bezug auf unseren Planeten ist noch nicht zu Ende gedacht. Ich habe eigentlich kein Problem mit dem Begriff des Eigentums in Bezug auf den Boden, wenn es sich um „Nutzungseigentum“ handelt. Das bedeutet, solange ich ein bestimmtes Stück Erde nutze in Form einerLandwirtschaft oder um ein Haus zu bauen, ist es mein Eigentum, und wenn ich wieder gehe, kann es ein anderer nutzen und es ist sein. Wenn das Eigentum an Boden aber bei Wenigen zusammenläuft, die dadurch anderen den Lebensraum entziehen, ist das nicht mehr stimmig. Dass zum Beispiel Bill Gates der größte Eigentümer von Farmland in den USA ist, damit habe ich ein Problem. Aber die Erde lieben, das dürfen wir alle, so viel wir wollen. Da gibt es kein Zuviel. Liebe lässt das, was sie liebt, eigentlich immer frei.
Ich habe Sie so verstanden, dass auch die Wärme der Menschen untereinander wichtig für die Erde ist. Wie ist das gemeint?
Wie soll ich irgendetwas Anderes annehmen oder gar lieben, wenn ich mich selbst nicht lieben kann? Ich muss bei mir und Meinesgleichen beginnen. Wenn ich zu mir selbst Liebe empfinden kann, dann kann ich sie auch verschenken. Das wirkt sich bis in die Stimmung und ins Atmosphärische hinein aus. Goethe schrieb: „Alles Lebendige bildet eine Atmosphäre um sich her“. Die Atmosphären, die wir als Menschen um uns herum verbreiten, das Mikro-Klima, das wir erzeugen, diese Atmosphären sind ein Teil der Erdatmosphäre. Sie beeinflussen die Erde und werden von ihr beeinflusst. Sämtliche Atmosphären, die sich um Lebendiges bilden, bilden die Gesamtatmosphäre der Erde. Ich bin also für meine Atmosphäre verantwortlich. Das ist individuell gedachte Atmosphärenverantwortung, die nicht nur technisch gedacht ist in Bezug auf CO2 und dergleichen. Da kann jede und jeder bei sich selber beginnen, sich täglich und in jedem Moment zu fragen: Welche Atmosphäre, welches Klima verbreite ich? Wie ist die Wirkung auf meine Umgebung, was spiegelt mir diese zurück?
Was kann ich als Mensch tun, um die Liebe gegenüber der Erde zu finden und zeigen?
Die Natur wieder wahrnehmen lernen. Das kann durch ein Ritual sein, bei dem ich in den Wald gehe, an einen Bach, ans Meer, auf einen Berg und dort ein Feuer mache und mich mit meinem Liebesgefühl der Erde anvertraue, es ihr schenke, mich ihr zuwende. Dann kann ich innerlich offen und unvoreingenommen lauschend auf eine Antwort warten und mit diesem Wesen in Kommunikation treten. Das finde ich eine schöne Möglichkeit, um in ein Verhältnis mit der Erde zu treten, sie wahrzunehmen und vielleicht sogar zu einer Stimme für sie zu werden, durch die ihre Bedürfnisse erklingen können. Dann kaufe ich zum Beispiel Bio- oder Demeter-Produkte, weil ich weiß, dass bei diesen Produktionsweisen keine synthetischen Gifte mehr ausgebracht werden, oder (wie bei Demeter) sogar noch etwas hinzugefügt wird, was man der Erde zurückschenkt: Die biodynamischen Präparate oder eine besondere innere Haltung.
Hilft es nicht ungemein, diese Verbundenheit mit der Erde durch die Gedanken von Reinkarnation und Karma auf einen begrifflichen Boden zu stellen? Wie könnte man das einem nüchternen, wenig spirituell denkenden Menschen näherbringen?
Vielleicht anhand der Prinzipien von Leben und Form. Wenn wir einen Samen nehmen, dann ist das ein Minimum an Form und ein Maximum an Leben im Sinne von Potenzialität. Wenn dieses Leben nun beginnt in die Form zu fließen, keimt es und es entwickelt sich die Pflanze Blatt um Blatt bis zur Blüte. Und wenn sie blüht, ist es ein Maximum an Form und ein Minimum an Potenzialität, an Leben, weil die ganze Potenzialität in die Form hineingeflossen ist. Und dann öffnet sich die Blüte, sie bringt sich zur Farbe, verströmt einen Duft und ist jetzt eigentlich abhängig von einem Besuch von außen, einer Biene oder eines Schmetterlings, eines Windstoßes oder eines Pollen, um befruchtet zu werden. Die Biene kommt und geht mit der Blüte in ein Verhältnis, kuschelt sich in sie hinein, aber gleichzeitig ist das der Todeskuss für die Form, weil ab diesem Moment die Verwesung anfängt. Das heißt, das Wesen wird wieder frei von der Form, die Blütenblätter fallen ab, es gibt noch einen Verdichtungsprozess, der in die Frucht mündet und schließlich in die Samenbildung hineingeht. Dieser Samen landet dann wieder unten in der Erde und ruht dort voller Potenzialität über einen Winter hinweg. Mit dem Frühling beginnt der Impuls wieder neu.
Und wie ist es beim Menschen?
Der Mensch ist zunächst Kind und gerät dann in der Jugend physisch zur Blüte. Dann findet man einen Partner oder eine Partnerin, es gibt Kinder, also eine Form von Fruchtbildung, und schon fängt der physische Alterungsprozess an. Doch auch den Alterungsprozess kann man als Reifeprozess verstehen. Das was reift ist die Seele und der in ihr lebende Geist. Das heißt, der Geist löst sich allmählich wieder und wir geben den Körper der Erde zurück und entledigen uns dieser Form in den Tod hinein. Dort werden wir wieder so etwas wie ein Same, voller Potenzialität, der wieder neu in die Form gehen und weiter arbeiten und sich entwickeln will.Wichtig erscheint mir: Das Ich als geistiger Träger seiner Möglichkeiten ist so potent, dass es sich nicht in einer einzigen Inkarnation voll ausleben und entwickeln kann, sondern immer wiederkommt, um weiter zu reifen. Je mehr ich die Verantwortung für meine Entwicklung hier auf der Erde bewusst übernehme und trage, umso weniger verkörpere ich unbewusstes Karma. Ich ergreife ein inneres, schöpferisches Verhältnis zu mir selbst und zur Welt, und die Erde bietet mir dazu Widerstand, Heimat und Leiblichkeit in einem. Diese Erkenntnis und dieses Erlebnis können natürlich die Liebe zu ihr außerordentlich vertiefen und beleben. Doch das ist keine Voraussetzung: Die Erde selbst ist schön und wahr und gut genug, so dass ich sie auch lieben kann, ohne mit Reinkarnation und Karma etwas anfangen zu können. Und das ist wunderbar.